Wenn die Mitarbeiter machen, was sie wollen – Anarchie oder erfolgreiche Unternehmensphilosophie?

Die Mitarbeiter dürfen ihr Gehalt selbst bestimmen. Während der Arbeitszeit darf jeder nach Lust und Laune Flippern, Pac-Man spielen (ja, das Original!), Kickern, mit dem Hund im firmeneigenen Park Gassi gehen, das firmeneigene Fitness-Studio oder das Kino nutzen. Oder sich einfach mal in den Ruheraum zurückziehen und ein Nickerchen halten. Die Kantine bietet Köstlichkeiten für jeden Geschmack – egal ob Fleischesser, Vegetarier oder Veganer. Gesunde Snacks und Getränke sind für alle Mitarbeiter kostenlos. Jeder darf (und soll) den Arbeitsplatz nach seinem eigenen Geschmack einrichten.

Geniales Geschäftsmodell oder Utopie? Funktioniert ein Unternehmen, das seinen Mitarbeitern so viele Freiheiten und Eigenverantwortung einräumt, wirklich? Ja, und zwar sehr erfolgreich – zumindest in den USA. Hier trifft jeder seine Entscheidungen eigenverantwortlich oder in der Gruppe, Titel und Hierarchien sind fast komplett abgeschafft. Es gibt nur einen Chef, den CEO Tony Hsieh. “Holacracy” heißt diese Firmenphilosophie, in der sich die Mitarbeiter selbst organisieren, im permanenten Austausch untereinander.

Wir sind neugierig geworden, und da wir gerade sowieso in Las Vegas sind, wollen wir uns das Ganze mal vor Ort persönlich anschauen. Zappos bietet regelmäßig Firmen-Führungen an, bei denen man einen recht guten Einblick hinter die Kulissen bekommt. Für 10,- US$ pro Person darf man 1,5 Stunden in die Zappos-Welt eintauchen. Wir sind gespannt…

Bei 47°C im Schatten schwingen wir uns aufs Motorrad und fahren nach Downtown Las Vegas, wo Zappos seit 2013 seinen Firmensitz hat.

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Bereits als wir aus dem Aufzug steigen, der uns von der Tiefgarage zum Empfang führt, ist uns klar, dass hier nichts „normal“ ist, sondern alles auf dem Kopf steht:

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Der Firmenname leitet sich übrigens von dem spanischen Wort für Schuhe (= Zapatos) ab. Aus „Zapatos“ wurde dann einfach „Zappos“:

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Das Einzige, wonach sich hier jeder hält, sind die 10 Grundregeln, die der Firmenchef vorgegeben hat und die einem hier an jeder Ecke begegnen:

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Wir starten die Tour mit einer kleinen Video-Einführung und erfahren dabei interessante Facts wie z.B., dass der Firmengründer Tony Hsieh selber nur 4 Paar Schuhe besitzt und – zumindest wenn er sich in Vegas aufhält – in einem Airstream (Wohnwagen) lebt. Hierfür zahlt er US$ 950,- Miete. Dafür gibt er sein auf 1 Milliarde US$ geschätztes Vermögen gerne mal für das Wohl der Gemeinschaft aus. So hat er 2012 aus seinem Privatvermögen etwa 350 Millionen US-Dollar in den Ausbau von Downtown Las Vegas reingesteckt.

Ganz nebenbei hat er auch einen internationalen Bestseller geschrieben: „Delivering Happiness: A Path to Profits, Passion, and Purpose“ – eine innovative Geschichte über New-Business, Kundenorientierung, Online-Geschäft, Unternehmenskultur, Human Ressource Management u.v.m. Wer mag, kann hier gerne mal reinlesen:

Jetzt sollen auch wir uns kurz vorstellen und als der Tour-Guide erfährt, dass wir aus Deutschland sind, kommt das Gespräch automatisch auf Zalando. Es ist kein Geheimnis, dass die Samwa-Brüder, die umstrittenen Gründer von „Rocket Internet“, das Geschäftsmodell von Zappos kopiert und in Deutschland in Form von „Zalando“ erfolgreich eingeführt haben. „Copy Cats“ nennt man sie hier, und nach dem, was so zwischen den Zeilen darüber gesagt wird, sind sie bei den 1500 Mitarbeitern der Zappos-Familie wohl nicht sonderlich beliebt…

Ja, Zappos Firmenphilosophie ist einzigartig. „Zapponians“ nennen sie sich selbst – nicht ohne Stolz – und sie sprechen sogar eine eigene Sprache: „Zapponese“. Jeder Mitarbeiter, dem wir begegnen, ist auffällig gut gelaunt. Die Stimmung hier erinnert ein bisschen daran, wie es in Deutschlands Büros zugeht, wenn die Jecken in der Karnevalszeit losgelassen werden.

Wir werden als erstes in einen großen Saal geführt, der gleichzeitig Kino, Theaterbühne und Proberaum für die firmeneigene Band ist.

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Hier kann man sich – wohlgemerkt während der Arbeitszeit! – zurückziehen und immer die neuesten Filme sehen. Frisches Popcorn und Cola gibt´s natürlich gratis dazu…

„Wie kann so etwas funktionieren?“ frage ich mich selbst und anschließend auch den Tour-Guide. „Alles steht und fällt mit der richtigen Personalentscheidung“, versucht der Guide uns zu erklären. Und dafür lässt man sich Zeit. Der gesamte Bewerbungsprozess hier kann schon mal locker mal 4-5 Monate dauern.

Und egal, für welche Position man sich bewirbt – wird man nach unzähligen Interviews letztendlich genommen, bekommt man für die ersten 4 Wochen erstmal den Telefonhörer in die Hand gedrückt. Bevor er überhaupt etwas anderes machen kann, läuft jeder Mitarbeiter erst einmal durch den Customer-Support. Das ist das Herzstück und die wichtigste Säule des Unternehmens. Nach diesen 4 Wochen werden die neuen Kollegen mit Kind und Kegel gefeiert und offiziell in die Zappos Familie aufgenommen. Eine Besonderheit hierbei ist das Angebot, welches Zappos allen neuen Mitarbeitern macht: Nachdem sie die Möglichkeit hatten, sich einzuarbeiten und festzustellen, ob die Chemie passt, bekommt jeder Mitarbeiter die Möglichkeit – unter Zahlung eines Monatsgehalts – das Unternehmen wieder zu verlassen. Dieses Angebot wird jedoch so gut wie nie angenommen, dafür sind die Benefits einfach zu reizvoll.

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Man braucht sich wirklich um nichts zu kümmern. Neuer Haarschnitt gefällig? Kein Problem – bei Zappos kommt der Frisör einfach in die Firma! Das Auto braucht einen Ölwechsel oder muss gewaschen werden? Geht alles während der Arbeitszeit.

Zappos hat Verträge mit allen möglichen Dienstleistern abgeschlossen und ermöglicht so den Mitarbeitern, ihre täglichen Angelegenheiten zu regeln, ohne das Firmengelände verlassen zu müssen.

Die Benefits sind für amerikanische Verhältnisse in der Tat einmalig:

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Und so sieht es dann aus, wenn die Mitarbeiter sich ihren Arbeitsplatz selber einrichten dürfen:

Alles ein bisschen anders, als man es von deutschen Großraumbüros kennt 😉

Auch von außen ist ds Firmengelände einzigartig. Auf dem Weg in die Kantine oder ins Fitnessstudio kann man die Gelegenheit nutzen, um seinen Vierbeiner im eigenen Hundepark toben zu lassen:

Man gönnt sich sogar einen firmeneigenen Künstler, der sich hier nach Lust und Laune austoben kann:

Uns natürlich feiert man sich selbst. Jeder Unternehmenserfolg, jeder Meilenstein wird verewigt, so wie dieser hier:

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Zur Motivation (und Selbst-Kontrolle?) der Mitarbeiter werden täglich die Zahlen aus dem Kunden-Support veröffentlicht. Und die können sich wirklich sehen lassen! So sind heute z.B. 7.300 Anrufe eingegangen mit einer Response-Zeit von 16 Sekunden (Ziel ist es, immer unter 20 Sekunden zu bleiben). Wer eine e-Mail geschrieben hat, musste durchschnittlich weniger als 4 Stunden auf eine Antwort warten!

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Die Mitarbeiter können Kollegen für einen extra-Bonus nominieren, wenn sie der Meinung sind, dass sie diesen durch eine besonders herausragende Leistung verdient haben. Es gibt besondere Aufmerksamkeiten zum Geburtstag oder wenn Mitarbeiter Nachwuchs bekommen. Auch besondere Extrawünsche (z.B. ein neues Bett) können über das “Wishes-Programm” in Erfüllung gehen:

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Nach dieser interessanten Führung lassen wir die Eindrücke erstmal ein wenig sacken, entspannen bei einer Runde Pac-Man und Flipper…

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… und machen noch ein Erinnerungsfoto, bevor wir uns wieder auf den Rückweg zu unserem Wohnmobil machen. Zumidest das haben wir mit dem CEO Tony Hsieh gemeinsam 😉

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Keine Frage, Zappos tut alles, damit sich hier jeder Mitarbeiter so wohl fühlt, dass er gar nicht mehr nach Hause möchte. Ist das jetzt lediglich auf die soziale Ader der Geschäftsführung zurückzuführen oder ist alles vielleicht doch nur Berechnung? Was glaubst du? Schreibe uns gerne einen Kommentar, wir freuen uns auf Deine Meinung zu diesem interessanten Firmenkonzept!

 

 

7 Responses

  1. Hallo,
    super Beitrag, vor allem so detailliert und die vielen Fotos, echt toll. Das Konzept klingt wirklich interessant, allerdings bezweifle ich, dass ich es in meiner Steuerkanzlei in Hannover anwenden kann. Ich denke da sind die Amerikaner vom Typ her doch etwas anders als die Deutschen. Jedenfalls sind meine Kollegen froh wenn sie endlich Feierabend oder Wochenende haben.
    Wirklich toller Beitrag, weiter so.
    Michael

    1. Hallo Michael
      danke für Deinen Kommentar. Ich stelle mir die Frage auch, ob das in D so funktionieren würde. Habe dazu aber noch keine abschließende MEinung bilden können. Versuch´s doch mal für einen gewissen Zeitraum in Deiner Kanzlei und anschließend machen wir ein Interview über Deine Erfahrungen 🙂
      Sonnige Grüße aus Las Vegas 🙂
      Tom

    2. Hallo Michael
      danke für Deinen Kommentar. Ich stelle mir die Frage auch, ob das in D so funktionieren würde. Habe dazu aber noch keine abschließende MEinung bilden können. Versuch´s doch mal für einen gewissen Zeitraum in Deiner Kanzlei und anschließend machen wir ein Interview über Deine Erfahrungen 🙂
      Sonnige Grüße aus Las Vegas 🙂
      Tom

  2. Mal wieder richtig genial geschrieben. Als Selbstständiger nehme ich mir diese Tipps aus deinem Artikel auf jeden Fall zu Herzen und werde sie in den nächsten Tagen umsetzen.

    Viele liebe Grüße, Steffen

    1. Hi Steffen,
      danke für Deinen Kommentar. Lass mich wissen, wie Dir diese Tipps im Alltag geholfen haben 🙂
      Gruß
      Tom

    1. Hi Steffen
      danke für Deinen Kommentar und die Blumen 🙂
      Wenn Du was in der SHow vermisst, lass es mich wissen.
      Gruß
      Tom 🙂

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